Dienstag, 15. Februar 2011

Fantastische Menschen Teil 1

Zur allgemeinen Aufheiterung, und um meinem Egosimus ein wenig die Luft aus den Segeln zu nehmen, möchte ich von nun an immer mal wieder kleine Beiträge über Menschen schreiben, die sich so in meinem Leben plaziert haben, dass sie mich nicht kalt lassen können.

Heute: H.

H. kenne ich schon eine Weile flüchtig. Sie war mir, bevor ich sie näher kennen gelernt habe, immer deshalb sympathisch, weil sie mir mit einer sehr starken Durchhaltekraft immer nur Namen wie Schneewittchen, Disneyprinzessin oder ähnlich niedliche Spitznamen die einem kleinen Mädchen eben einfach gefallen, gab. Ja, wahrscheinlich konnte sie sich meinen Namen nicht merken, aber das ist doch eine sehr liebe Art dieses Problem zu kaschieren.
H. ist eine etwas schrullige Frau um die 50 (sie verrät ihr Alter grundsätzlich nicht) mit Eskimowangenknochen und der Angewohntheit nur lange, teils sehr farbenfrohe Röcke zu tragen. Ich war nicht wenig überrascht als ich erfuhr, dass sie Ärztin ist.
H. hat zwei bildschöne Töchter, die beide eine wahnsinnig sanfte Stimme haben und die ich, im Gegensatz zu ihrer Mutter, auch noch nie fluchen gehört habe.

Richtig kennen gelernt habe ich H. bei einer Chorakademie letztes Jahr. Diese Akademie ist eine Woche volle Dröhnung Musik. Man rennt von Plenumschor zu Studiochor zu Einzelstimmbildung zu Gehörbildung zu Plenumschor etc... Dazwischen isst oder schläft man, oder, wie in meinem Fall: man sitzt in seinem kleinen Zimmerchen und chattet vegane Gummibären essend mit den Daheimgebliebenen. Kurz: Es ist einfach wundervoll. Der Inbegriff des positiven Stress.
Da H. die einzige war, die ich schon zuvor in meinem Leben gesehen hatte, hielt ich mich vor allem zu Beginn der Woche ein wenig an ihr fest, denn sie war schon das etwa 120. mal bei der Akademie und wusste offensichtlich wie der Hase läuft. Aber sie hat mir nicht nur beigebracht wie man es schafft eine Woche ohne langfristige Schäden durchzusingen, sondern noch so viel mehr.

So erzählte sie mir, dass sie die meisten ihrer Arztkollegen nicht leiden kann, und den Arztberuf selbst für überbewertet hält. Sie erzählte mir von Kindern mit ADHS, denen sie Schlagzeugunterricht statt ruhigstellende Pillen verschrieb und von Eltern, die sie dafür hassten. Sie erzählte mir, dass sie mit ihren Kindern oft einfach irgendwo hingefahren ist, weil ihr das Urlaubplanen zu kompliziert war und dass sie deswegen schon einmal mit ihren Töchtern in der Gartenhütte eines verreiseten Freundes übernachten musste. "Hat ihnen doch nicht geschadet, oder?"
Sie erklärte mir mit einer Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit von ihrer Überzeugung, dass Tiere nicht nur die besten Therapeuten, sondern auch die besten Analytiker bei psychischen Problemen sind und zehn Minuten später flüsterte sie mir kichernd ihre Diagnosen für andere Akademieteilnehmer ins Ohr.
Wir unterhielten uns über Eltern, die ihre Kinder zum Musikmachen zwangen und über das Musikmachen selbst. Wir redeten mitten in der Nacht auf einer Brücke über die psychische Labilität von Komponisten und darüber, ob Kunst einen Menschen zerstören kann/darf/soll.
Sie hat mir versucht weis zu machen, dass ich Mathematikerin werden könnte. Dass ich Organistsin werden könnte. Physikerin, Chemikerin, Pharmazeutin, Linguistikerin, Autorin, 1m55cm großes, viel zu schweres Model, einfach für jeden Beruf fand sie ein Argument, für jeden erdenklichen Werdegang einen Grund der mich in ihren Augen ideal erscheinen ließ.

Sie kennt meinen Namen mittlerweile. Aber Schneewittchen nennt sie mich immer noch.